Startseite » Herz-Worte » Blog » Nebelmorgen auf Hiddensee

Nebelmorgen auf Hiddensee

Die Heckenrosen, die den schmalen hellen Sandweg auf der Düne säumen, haben mir an diesem nebligen Morgen ihre Blütenblätter zu Füßen geworfen. Sie verströmen den Duft der Liebe. Ich feiere Hochzeit mit der Insel! Zwei weitere Wochen habe ich mir erlaubt und gestern Abend gebucht: Eine Anfang Juli und eine Ende August. Der „Bei-Mir-Sein“-Rahmen für meinen erfüllenden Reise-Sommer.

DAS ist meine Natur! Im doppelten Sinne. In aller Frühe durch Wiesen und Hügel streifen, die noch bis eben den Tieren allein gehört haben. Morgenandacht!…Vorm Inselbäcker sitzen und freundlich grüßen könnte mein Job im Alter werden. Eine junge Mama kommt mit ihrer kleinen Tochter, um Brötchen zu kaufen. Beide haben die gleichen Gesichtszüge und auch die gleiche Frisur: ihre Haare haben sie zu einem kurzen Zopf am Hinterkopf gebunden. Aber die Tochter hat einen Haarreif mit kleinen weißen Plüschohren dran. „Bist du eine Katze?“ frage ich sie. „Nein, ein Schaf!“ sagt sie und öffnet den Reißverschluss ihrer Jacke, um mir die Aufschrift „Schaf“ auf ihrem T-Shirt zu zeigen. Ich bin nicht sicher, ob sie schon lesen kann. Beide grinsen sich an als sie den Laden verlassen und an mir vorbeigehen. Jede hat ein angebissenes Milchbrötchen in der Hand.

 

Wenig später fahre ich auf den Dornbusch. Der von Nebel durchwobene Wald duftet süß. Er dampft geradezu nach dem gestrigen Sonnentag. Im Hochland leuchtet der Ginster besonders gelb, als müsste er das heute fehlende Sonnenlicht ersetzen. Der Leuchtturm ist sogar weg! Eingepackt in Millionen und Milliarden von winzigsten Wassertröpfchen. Ich tauche durch die weißen vom Wind bewegten Schwaden zu ihm hin. Den Ausblick brauche ich nicht mehr, ich habe ihn schon oft genossen. Heute suche ich neue Einblicke, die mir sein So-Sein offenbaren will. Wie immer gibt es nur Wenige, die sich genau so dafür interessieren. Heute Morgen bin ich hier allein. Ja, ein wahrer „Dornbusch“ ist es: Dornige weißblühende Büsche umgeben die runden Mauern des Turmfußes. Das Leuchtfeuer scheint an diesem Sonntagmorgen zu schlafen. Und die Schiffe? Ist heute für alle Ruhetag, so wie die Bibel uns das zugetragen hat? Da, wo der Enddorn mit den niedlichen Griebener Fischerkaten liegt, hat sich ein graues Wattemeer ausgebreitet. Das Papier, auf dem ich schreibe, ist feucht. Als ich an der Schautafel am Turm ankomme, lese ich, dass die Lichtstrahlen der „aus zwanzig Scheinwerferlinsen bestehenden Glasoptik“ sich nur nachts sehr erhaben über den gesamten Horizont tasten. Und sechsundvierzig Kilometer weit Seeleuten Orientierung geben. Hinter dem Leuchtturm entdecke ich die berühmte Wetterstation auf Hiddensee. Zur Zeit meldet hier ein Erzgebirgler mit von Jahr zu Jahr abnehmenden Dialekt, welches Wetter die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern zu erwarten haben. Erstmals bekomme ich Sehnsucht, auch mal bei Schnee hier zu sein. Ich setze meinen Weg auf sandigen Pfaden fort und als ich mich zum Hügel umblicke, wo eben noch der Leuchtturm für mich sichtbar war, da ahne ich, dass es in diesem Hochland so manchen Erlkönig gegeben haben wird. Und dass auch ich mich verlaufen könnte. Demütig kehre ich zum Wald zurück, wo ich mein Fahrrad an einer Bank abgestellt hatte. Ein Weilchen sitze ich dort noch. Und wie immer im Leben ist Klarheit nur vor meiner Nase. Klarheit  kann ich nur in mir finden. Denn rundherum verändert  und bewegt sich immer alles! Das Netz, das die Wege über diesen Hügel legen, ist so lieblich, so lockend,  verwunschen gar. Ich werde wiederkommen und weiter auf diesen Pfaden wandeln, die sich so wundervoll wandeln.

Veröffentlicht von Eva Luna am