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Die Steineklopper von Lulu

Die beiden Bänke vor dem weinberankten Häuschen in Ludwigslust lockten mich mit ihrer handgemalten Einladung: „Rastplatz für die Kunststube“.

Auf einer der Bänke saß ein älterer Herr und putzte seine Brille. Er sprach mich an, als ich an der Haustür nach Öffnungszeiten suchte, und seine mit einem entspannten Grinsen vorgetragene Erklärung „Wir machen nur noch auf, wann wir wollen.“ verwirrte und begeisterte mich zu gleichen Teilen. Er stand auf, um mich ins Haus zu begleiten und mir seine Kunststube zu zeigen. Unter seinem wortreichen Geleit ließ ich alle Vorstellungen von Keramik, Filz und Malerei los. Der Raum war voller Steine und kunstgewerblicher Objekte. An den Wänden hingen Gemälde von Kristallen in fast fotografischer Exaktheit. Ich schwang mich ein auf die überschäumende Begeisterung  des Ladenbesitzers. Der duzte mich und blätterte mir internationale Zeitungsartikel unter die Nase, die seine Malerei und Steinsammel-Erfolge priesen. Aus aller Welt quollen Interview-Anfragen und Steinbruch-Hinweise zu ihm. Wann immer er Zeit hatte, fuhr er mit seiner „Mausi“ dorthin und fand Schätze. Sie suchten nicht. „Suchen geht nicht – nur absichtsloses Finden.“, sagte er. Gier führt nicht zu den Schätzen, sondern verhindert, den Ruf der Steine zu hören. Feine Lebensweisheiten, die auch ich schon erfahren hatte und die mein Herz wärmten.

Der Mann, der trotz des Ruhmes einfach und beinah kindlich geblieben war, drückte mir dünne Steinscheiben in die Hand, die im Licht betörende Muster offenbarten. Er zeigte mir Ammonite verschiedenster Größen und versteinertes Holz von Mammutbäumen, das er aus inzwischen gefluteten sächsischen Braunkohle-Tagebauen herausgeholt hatte. Ich bewunderte Hals- und Fingerschmuck aus dünn geschnittenem und poliertem „Sternberger Kuchen“, einem braunen Sediment aus Mecklenburg, das unzählige Fossilien enthielt. Diese „Steine aus unserer Heimat“ waren es, die mich einluden, immer tiefer in die Welt des Steinekloppers einzutauchen. Denn auch mein Großvater  hatte auf Wandertagen im Erzgebirge Steine gesammelt und einige von ihnen schleifen lassen. Zwei davon habe ich geerbt. Meine Tante hatte mir in Kindertagen eine aufgeschnittene Geode geschenkt, in deren Innerem ich wieder und wieder violette und durchsichtige Kristalle bewundern konnte. Als Erwachsene sammelte ich unzählige Ostseesteine und beglückte meine Landratten-Verwandten im Sachsenland. Die Stücke, die mir dieser Mann voller Stolz zum Fühlen in die Hand gab, brachten mir Andacht und Tränen der Rührung. Was für Schönheiten unsere Erde in sich trägt! Die Frau des Steinefinders würde mir später erklären, dass die Menschen über diese faszinierende Pracht nichts wüssten, wenn es nicht Verrückte gäbe wie sie oder Wissenschaftler, die in die Steinbrüche gingen, bevor diese Gesteinsbrocken für den Straßenbau zermahlen werden. Mehrmals im Jahr zeigen sie ihre Funde auch Schulklassen, damit die Kinder mal eine Vorstellung von Erdzeitalter und Erd-Schätzen bekommen. Kostenfrei versteht sich.

Aus aller Welt brachten sie Steine nach Hause, oft nur ahnend, was sich beim Schleifen bzw. Aufsägen und Polieren für eine „Gottes-Malerei“ offenbaren würde. „Überraschungseier für Erwachsene“ nannten sie ihr Hobby. Das war später, als ich vom Geldautomaten am Ende der Straße zu ihrem Häuschen zurückkehrte, um zwei Erdenwunder, die mir „ins Herz gefahren waren“ zu bezahlen. Da winkte mir der Steinmaler schon von weitem zu und rief „Na, meine Kleene, trinkste ´n Kaffee mit uns? Wir ham schon jedeckt und drei Stücke Torte hammer och noch. Hat meine Mausi gemacht. Bei uns wird alles selber gemacht….“ Und mein Herz lachte. Solche Gelegenheiten, aus dem Augenblick heraus eingeladen zu werden, sind selten und teuer. Ich kam gern mit hinein. Und lauschte wieder mit staunenden Augen den Erzählungen dieses agilen und herzlichen Paares. Sie gaben mir Fotobücher, die sie gemeinsam mit anderen Steinekloppern in riesigen Steinbrüchen zeigten. Ich sah die Sackkarre, mit der sie ihre steineschweren Plaste-Klappboxen dann zum Parkplatz transportierten. Ich wusste genau, was sie meinten, als sie sagten, dass das Finden nicht das Schwere ist, sondern das Auswählen der schönsten Stücke. Nicht alle würde das Auto achsenbruchfrei bewegen können, nicht alle könnten sie heimschleppen und aufbewahren! Zu recht überschaubaren Preisen gaben sie ihre Fundstücke weiter. Oft stellten sie auch draußen vorm Haus eine Kiste auf, aus der Vorübergehende sich einfach Steine mitnehmen konnten. Freude teilen wäre ihnen das Wichtigste, betonten sie immer wieder. Wie Licht, dass die Steine erst so schön macht, sei Freude auch Licht für die Menschen. Leute, die sie mögen – Fremde wie mich – laden sie einfach ein. Die gehören zur Familie.  Nach gut zwei Stunden umarmten wir uns zum Abschied. Steinreich und sehr erfüllt ging ich in meine Welt zurück.

Veröffentlicht von Eva Luna am