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Von mobilen Brötchen und Opas in Kinderwagen
Als ich am Morgen noch ein paar Sachen aus dem Auto hole, stehen an der Haustür zwei alte Damen. Die eine hat eine Tasse Kaffee in der Hand. Sie rufen mir zu, was heute für ein Herbstwetter sei. Dabei ist Sommeranfang und gestern waren es noch um die dreißig Grad. Ich bin im Haus zu Gast bei meiner Freundin. Die alten Damen rätseln ob ich die Schwester sei. Die Tochter könne ich nicht sein. Obwohl die ja auch schon erwachsen wären.
Ich kläre sie auf. Staune über den Kaffee, der duftet und abkühlt. „Der ist für die Bäckersfrau!“, sagt die Dame, die einen Stoffbeutel an ihre Kittelschürzen-Brust drückt. Seit Jahren macht sie den. Dreimal die Woche.
Jetzt kommt noch eine dünne blasse Frau aus dem oberen Stock an die Haustür. Sie stützt sich auf eine Krücke, redet wenig. Ich setze mich auf die Treppe, lache und sage „Da haben wir sie wieder- die Schlange!“ und alle schmunzeln und erinnern sich an DDR-Zeiten. „Es kann nur noch wenige Minuten dauern.“, meinen sie. Das Bäckerauto bringt wie das Postauto die Menschen in Bewegung und in Kontakt. Man trifft sich, tauscht ein paar Floskeln. Redet auch manchmal über Leute. Heute sitze ich ja dabei. Ich frage nach dem Saal im Dorf. Ich hatte gehört, dass dort Fotos von früher gezeigt worden waren. Vor Jahren. Lächeln breitet sich auf den Gesichtern aus. Auch auf dem der blassen Frau. Ja, das sei schön gewesen. Nach der Wende hätte jeder sich um sein Grundstück gekümmert und nun sei das Dorf ein schmucker Ort. Während der Kaffee, den sie in der Hand hält, weiter abkühlt, erinnert sich die Kittelschürzen-Frau, dass im Saal früher immer Bälle stattgefunden haben. Beim Maskenball hätten sich wirklich alle toll verkleidet. Die Opas hätten mit der Flasche in den Kinderwagen gelegen. Der olle Henke sei gar nicht mehr rausgekommen, so steif war er gewesen. Sie lacht. Schön war das. Kurz nach dem Krieg. Als sie noch von den Feuerwehrbällen erzählen will, kommt das Bäckerauto.
Mit leichten Bewegungen steigt die korpulente Fahrerin aus, klappt das Dach hoch und stellt sich an den Tresen. Den Kaffee nimmt sie als erstes entgegen, stellt ihn zur Seite und bedankt sich ohne sonderlich Freude zu zeigen – die Arbeit ruft und schon fünf Menschen stehen unter dem kleinen Vordach, das nur knapp vor dem Sprühregen schützt. Von oben herab, und doch warmherzig, fragt sie was es sein soll. Die sechsundachtzigjährige Dame mit dem grauen Zopf ist noch vor der Kaffee-Frau dran. „Zwei Helle, Butter und Kirschmarmelade“. „Wir haben heute nur Orange.“ bedauert die Bäckersfrau. „Dann nehme ich eben wieder Erdbeere.“ gibt sich die alte Dame zufrieden. Und wird erneut mit ruhiger Stimme darauf hingewiesen, dass es nur Orange gibt. Die nimmt sie schließlich mit einem „Hilft ja nichts, schmeckt auch.“ Und ich bin dran. Eigentlich erst nach den beiden anderen Frauen aus dem Haus. Aber für die bin ich wohl so etwas wie Fernsehen. Sie gucken gern zu, was ich mache. Und so kaufe ich ein Milchbrötchen und zwei Stück Kirsch-Mohn-Kuchen für den Nachmittag. Wir wünschen uns alle einen schönen Tag bevor ich ins Haus zurück gehe und die nächste alte Dame aus der Nachbarwohnung treffe. Sie muss noch am Hauseingang warten. Unter dem Dach des Bäckerautos gibt es keinen trockenen Platz mehr.
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